20.07.10

episode 26

fenster zumachen? sybille prüfte kritisch den himmel und hielt probehalber den arm ins freie. so ungefähr lauwarm. kalt auf keinen fall. obwohl es von drinnen so aussah. der august huschte als herbst verkleidet durch die stadt, riss gelegentlich die wolken auseinander, schob sie wieder zusammen und drückte den hofbaum hin und her. die im laufe des sommers hervor geschossenen zweige kratzten beharrlich an der hauswand. einer war praktischerweise so gewachsen, dass er exakt ihr badezimmerfenster verdeckte. sie konnte also zum baden nicht nur das rollo oben sondern auch das fenster offen lassen. das wäre sonst nicht gegangen, der typ von gegenüber führte ihr täglich sehr deutlich vor, was man alles so herzeigte, wenn man nackt durch die wohnung turnte. jeden morgen riss er unbekümmert die vorhänge auf, gähnte, kratzte sich den rücken, hüpfte zum duschen ins bad. nach dem duschen ab in die küche, wahrscheinlich kaffee aufsetzen, dann wieder zurück ins bad zum zähneputzen und rasieren. alles nackt. erst danach zog er sich nach und nach an. gott sei dank begann er mit der unterhose. er musste wissen, dass man ihn sehen konnte, er konnte sie doch auch sehen. oder schaute er gar nicht so bewusst nach gegenüber? die ganze zeit nicht einmal ein handtuch um die hüften, aber mit geschlossenem duschvorhang duschen. warum? den fussboden tropfte er doch später eh voll, denn er trocknete sich nicht ab. das wusste sie, sie sah ihn doch die ganze zeit. sie konnte einfach das hingucken nicht unterlassen. es war wie der badeausflug mit raiko. es war noch früh am tag, raiko schwann nackt durch den see. sie lag allein auf der decke, gerade vom lesen ins träumen abgeglitten, hatte sören vor augen und einen schweissfilm auf der haut, der nach sonne, see und sonnencreme schmeckte, als raiko sich nass und nackt neben sie warf. nackt da wo sie beim fernsehen normalerweise kissen und kopf hinlegte. das ging gar nicht: neben einem nackten freund liegend sich selber mit der zungenspitze den schweiss vom arm tippen und an jemand anderes denken. sie konnte den rest des tages weder hin noch wegschauen, tat so als würde sie schlafen oder lesen oder starrte angestrengt auf den see. sie hatte sich die ganze zeit innerlich nackt gefühlt. Sich, wenn sie ihn ansah, vorgestellt, dass raiko sich vorstellte, wie sie wohl ohne bikini aussah. womöglich tat der typ von gegenüber das gleiche. neben nacktbadern im bikini herumliegen ist ein bisschen wie ohne ibook in einem kaffee sitzen: man hatte einfach nichts vorzuweisen. sybille nahm ein bisschen von dem badeschaum in beide hände und pustete kräftig dagegen, dass er in richtung fenster stob.gleich noch einmal! mit einem gegenüber würde das erheblich mehr spass machen, dachte sybille, mit jemand anders zusammen in der wanne den schaum herum pusten. mit einer kleinen schwester auf der anderenseite der wanne zum beispiel. die hatte sie nie gehabt. dabei wäre das so toll gewesen: mum hätte geschimpft wegen der sauerei und sie wären heimlich kichernd in kleinen rosa bademänteln ins kinderzimmer gelaufen. ihre schwester hätte natürlich da gesessen wo sie sich jetzt hingesetzt hatte, um aus dem fenster in den himmel schauen zu können: auf der stöpselseite, wo auch der stöpselhalter angebracht war, der ihr heute so lästig ins kreuz drückte. denn als ältere schwester hätte sie ja auch ältere rechte auf die bequeme seite der wanne gehabt! nur wenn man nicht alleine ist, sitzt einer auf der stöpselseite.
sybille schloss die augen, hielt die luft an und liess sich langsam mit dem kopf unter wasser gleiten. bloss an etwas anderes denken. oder besser an gar nichts.

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