20.07.10

episode 25

sehe ich vielleicht irgendwie behindert aus, oder was? sybille kam sich doof vor. die beiden auf der bank musterten sie von oben bis unten. sie hätte eine tasche mitnehmen sollen und das fahrrad benutzen. der weg war dann doch weiter, als sie gedacht hatte. aber sie war lange nicht mehr bei jules gewesen. in der erinnerung vergass sie immer, dass sich die strecke über die beiden brücken ganz schön in die länge zog, bevor man endlich die kreuzberger seite erreicht hatte, dann lag ja auch noch der park dazwischen. was starren die beiden mich denn so an? haben die nichts besseres zu tun? sie zupfte an ihrer bluse herum. stimmte doch alles! die neuen schuhe drückten. humpelte sie möglicherweise ein wenig? blödsinn! sie schielte unauffällig an sich herunter. schick sah sie aus. jules rannte immer noch in bunten retro sneakern, engen grauen röhren und grossen shirts mit grellen prints drauf herum. sybille hatte sich genau aus diesem grund spielerisch spiessig angezogen: einen schwarzen bleistiftrock, eine blassblaue bluse mit angeschnittenen ärmeln und dazu ebenfalls blassblaue peeptoe schuhe mit einem moderaten absatz. nicht gerade bequem, alles zusammengenommen aber ein eleganter kontrapunkt, was die bemühte jugendlichkeit von jules betraf. sie nahm die auflaufform in die andere hand. seit beinahe über einem jahr stand die nun bei jules herum. sybille hatte es einige male angesprochen, viel hatten sie sich eh nicht mehr zu sagen, aber jules machte nie anstalten, sich um die übergabe zu kümmern. sicher, es war bloss eine aufflaufform, nur dachte jules denn nie daran, dass sie ihr nicht gehörte? von zeit zu zeit muss sie ihr doch mal in die finger gekommen sein! stehengelassene, vergessene oder geliehene dinge können einem nicht gehören, dachte sybille. sie für ihren teil fühlte sich jedesmal unwohl, wenn sie beim aufräumen sachen fand, deren herkunft ihr ein rätsel waren. da muss man doch einen gedanken daran verschwenden! sie konnte sich sogar erinnern, was das für ein abend war, als sie den vorbereiteten auflauf mitgebracht hatte! das war das erste gericht, das sie noch als schülerin zu hause kochen gelernt hatte! ein broccoli-kartoffel-auflauf mit sahnesauce, mit käse überbacken. mandelsplitter gehörten ebenfalls dazu. sie wusste auch, dass sie die form damals nach dem essen abgespült hatte, deshalb war ja auch dieser angebrannte käserest am rand so eine frechheit. jules hatte die auflaufform nicht nur die ganze zeit bei sich herum stehen lassen, ohne darüber nach zu denken, ob sybille die vielleicht brauchen könnte, sie hatte sie darüber hinaus noch benutzt, als ob es ihre wäre, ohne sie hinterher angemessen sauber zu machen! aber das nicht mit mir, empörte sich sybille. sie hatte die schultern gestrafft, jules angerufen und damit konfrontiert. war eh mal an der zeit, sich wieder gegenüber zu treten. das bedurfte natürlich einer gewissen vorbereitung, und so hatte sie extra ihre haare gewaschen, zu einem pferdeschwanz gebunden, noch schnell die fingernägel gemacht, auch die fussnägel verlangten nach einer sorgfältigen pediküre, waren die doch der eigentliche blickfang was ihre schuhwahl anging. die zwei gafften immer noch zu ihr rüber. jules hatte sie auch schon so komisch gemustert. „flott wie mami", lautete ihr kommentar, dabei hatte sie abschätzig gegrinst. na, gleich hatte sie es geschafft, immerhin war sie jetzt schon gleiche höhe mit denen. sie strich den rock glatt und versuchte die auflaufform auf der den beiden abgewandten körperseite zu verstecken. auf einmal sah sie sich selber, frisch manikürt und frisiert in ihrem bleistiftrock durch den park laufen. man trank und grillte, spielte ball, junge jongleure präsentierten ihre nackten oberkörper und sie trug in diesem aufzug eine auflaufform wie eine torte vor sich her.
„ich habe mich aufgebrezelt wie für ein date", durchfuhr es sie, „ich habe mich zwei stunden zurecht gemacht, um eine auflaufform nach hause zu bringen."

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