20.07.10

episode 24

babs und miri kamen herein und winkten fröhlich herüber. sybille seufzte erleichtert, endlich besuch auf den sie sich gefreut hatte. na, die konnte sie jetzt bei mum und dad platzieren, die hatten es nämlich für nötig gehalten, sie kurzfristig und „spontan", wie dad am telefon in einem affigen tonfall gesagt hatte, in berlin zu überfallen. nur alte leute sprachen von „spontanität", so als müssten sie sich etwas beweisen, dachte sybille boshaft und trat die kühlschranktür zu, anstatt sie mit einer geführten bewegung sanft zu schliessen. dad versuchte in einem fort, mit ihr zu reden: „sind das freunde von dir?" fragte er jedes mal, wenn sie jemanden begrüsste.
sybille knallte eine leere flasche mit nur leicht gebremster wucht in die altglaskiste. dieser abend hatte seinen rhythmus verloren. eigentlich hatte er gar nicht erst einen gehabt! dabei war sie doch im laufe der zeit richtig gut geworden hinter dem tresen!
heute hatte sie cocktailschicht. am anfang war das für sie der horror gewesen, wenn in der happy hour ein reisebus nach dem anderen gleichzeitig eintraf, und jeder aus der gruppe natürlich einen anderen cocktail bestellen musste, nur damit man dann unter kritischen blicken und mit kennermiene reihum jeden drink probierte. inzwischen bewältigte sie einen solchen ansturm in der regel souverän. sie konnte mit dem fuss die untere kühlschublade aufmachen während sie mit den armen in völlig entgenengesetzte richtungen arbeitete, sie war in der lage wirklich mit beiden händen unterschiedlich schnelle bewegungen auszuführen, wenn sie die flaschen wieder abstellte konnte sie das in einer für sie geradezu irrwitzigen geschwindigkeit tun und die flaschen trotzdem so absetzen das es nicht den hauch eines geräusches gab. bei ihrer ersten schicht hatte sie dabei einen lärm verursacht, dass sie dachte das glas würde jeden moment bersten. sie spürte es, wenn kollegen hinter ihrem rücken vorbeiliefen, und es war schon lange nicht mehr passiert, dass sie genau in einem solchen moment einen schritt nach hinten machte und eine ganze bestellung auf den fussboden krachte. sie kannte die abmessungen des tresens inzwischen genau und sie fühlte sich in einigen momenten, als würde sie tanzen. es war beinahe als flöge ihr alles was sie brauchte in die hand und begab sich danach wieder auf seinen platz.
der tresen war trotz seiner enge als raum gewachsen. räume die man kennt werden grösser, überlegte sybille, weil man mit ihren möglichkeiten spielerisch umgeht. damit war es heute allerdings essig. von dem moment an, als mum und dad durch die tür marschiert waren und sich genau in die ecke am cocktailarbeitsplatz gesetzt hatten, war der gesamte laden auf die grösse einer nussschale zusammengeschnurrt, wie zuvor schon ihre wohnung. beim eintreffen war mum durch alle zimmer gerauscht wie ein feldwebel, riss vorhänge und fenster auf. „hier muss mal ordentlich luft rein! lässt du die vorhänge immer halb zu? du erstickst ja hier drinnen kind!" das frisch bezogene bettzeug hob sie kritisch an die nase, um alsbald die eigenen mitgebrachten bezüge hervorzuholen. in der küche hatte sie in alle schränke geguckt, zwar keinen ton gesagt, aber fortwährend leicht den kopf geschüttelt.
und wenn sie schon bei ihr übernachten mussten und nicht in einem hotel, wie es sich für die eltern einer erwachsenen tochter gehörte, konnten sie wenigstens von ihrem arbeitsplatz fern bleiben. sybille schielte die ganze zeit mit einem auge zu mum und dad rüber und versuchte zu verstehen, was die da die ganze zeit herumplapperten, babs und miri wirkten nur mühsam beherrscht. „unsere tochter", hörte sie mum sagen, „hat ja inzwischen auch schon angefangen zu produzieren", und sybille lief es heiss und kalt den rücken hinunter. sie hatte ja gelogen, sie hatte die tasche die sie von babs und miri zum geburtstag bekommen hatte als eigenes modell ausgegeben. quasi als prototyp einer eigenen kollektion. nur so zum angeben. jetzt musste ein ablenkungsmanöver her.

Keine Kommentare: