20.07.10

episode 22

wow, die wohnung war jetzt aber mal richtig blitzblank und hatte diesen schönen leicht zitronigen putzmittel-duft. zufrieden fläzte sich sybille auf dem sofa herum. wie jedes jahr hatte sie die januar-depression gar nicht erst aufkommen lassen und sich stattdessen lieber ihrem obligatorischen jahresanfangsputzritual hingegeben. schon als kleines mädchen hatte sie von mum immer eine grosse aufräumaktion zu beginn des jahres verordnet bekommen.und worüber sie noch zu hause in neumünster immerzu gequengelt hatte, das übernahm sie jetzt ganz selbstverständlich, als ob dieses ritual ihre eigene kleine erfindung gewesen wäre. vielleicht sollte sie dieses jahr tatsächlich mal die disziplin aufbringen, und das rauchen auf den balkon verbannen, überlegte sybille und schnupperte noch einmal geniesserisch, solange diese frische noch zu riechen war. komisch, irgendetwas störte. sollte sie vielleicht das sofa noch mit dem polsterreiniger angehen? aber es roch nicht schlecht. eben nach sofa. raiko war gestern hier gewesen. sie kräuselte ihre nase, hob das kissen an und tatsächlich: raiko hatte seinen schal liegengelassen und das war genau sein geruch: nach junge irgendwie, aber nicht auf diese strenge teenager-weise, eher angenehm als unangenehm, nach selbstgedrehten zigaretten, nach etwas zu lange auf dem sofa gesessen und ferngesehen, nach suppe und zuhause, ein wenig nach old spice oder einem standardrasierwasser aus der discount-drogerie, einem zimmer das man gerne betrat, leicht ungelüftet, aber dabei gemütlich. nach jemandem, den man oft und gerne um sich hatte. so wie mädchen wenn man sie mochte einfach immer nur nach freundin rochen. sicherlich würden andere raiko eine kleine dosis parfüm verordnen, aber sie fand das so viel angenehmer als zum beispiel bei peer. jedesmal wenn sie hinter dem tresen stand und er sich viel zu nah an ihr vorbei schob, um sein zugangsrecht als chef zu demonstrieren, schwappte eine klebrige wolke aus solarium und kaubonbon über sie hinweg. genauso roch es wenn man eine dose red bull öffnete. aufdringlich und überpflegt, wie in einer grossraumdiskothek auf dem land, in der man weisse breitcordhosen zu weissen socken und weissen sneakern trug, um das ganze mit weissen pullovern zu kombinieren. unwillkürlich musste sie kichern. das hätte jetzt auch von raiko kommen können. mit dem hatte sie gerade wirklich eine feine zeit. mit ihm machte sie so sachen wie zum hundertsten male die legende von paul und paula anschauen und danach im dunkeln am paul und paula ufer entlangzulaufen, um auf der paul und paula bank noch ein bier zu trinken. egal wie kalt es war.
oder sie holten sich beide eine decke und kuschelten sich darin gemütlich aufs sofa. der tee war warm, die glotze lief und meistens schlief sie dann wie umgemäht tief und friedlich ein. raiko deckte sie, bevor er sich leise auf den heimweg machte, immer noch mal richtig zu. heute würde sie das ohne ihn versuchen, wenn sie den schal wieder unter das kissen packte war es doch fast so, als würde er neben ihr sitzen und so lange erzählen, bis seine worte sich zu einem leisen gemurmel entfernten und sie sich endgültig für einen traum entschieden hatte. ja, sie konnte raiko gut leiden, genauso wie sie peer eben nicht riechen konnte.
wie sie wohl roch? sie schnüffelte probehalber in der ellenbeuge, unter den achseln, hielt sich die handinnenfläche vor die nase. konnte aber nichts prägnantes finden. sie hatte keine schwitzigen hände und sie benutzte ein verdammt gutes deo, das war das einzige, was sie feststellen konnte. wie nahmen eigentlich jungs den geruch von mädchen war? klopfte denen manchmal auch das herz bis zum hals und darüber hinaus? als sie bei ihrer ersten begegnung neben sören stand, war es diese nur angedeutete spur von parfüm, ein hauch von sand, alkohol, aber kein suff. von unterwegs, nachtleben und tanzen. alles perfekt abgestimmt auf den geruch von körper. ja, sören schwitzte, er war unterwegs, roch wie eine sonnenkatze, nur männlicher. leicht salzig. unrasiert, aber nicht zu sehr, bloss ein paar stunden. er war einer von den typen aus den calvin klein spots der neunziger. sie wusste zwar nicht wie sören mit nacktem oberkörper aussah, aber in etwa so stellte sie ihn sich vor.
während sie tiefer in den schlaf abtauchte hörte sie sich selbst von der einen seite geniesserisch mit der zunge schnalzen, von der anderen seite aus schellte ihre türklingel. wer mochte das bloss sein? um diese uhrzeit? noch ganz benommen nahm sie den hörer der gegensprechanlage ab. beide sprachen gleichzeitig.
„ich habe gestern meinen schal bei dir liegenlassen. kann ich kurz hochkommen?" und sybille sagte: „ich habe schon auf dich gewartet sören, komm rauf."
und dann hörte sie raiko sagen: „ich schau besser morgen noch mal vorbei."

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